Der Wohlstand in Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gestiegen, was, unter anderem, einer konsequenten und erfolgreichen Wirtschaftspolitik zu verdanken ist. Gelungene Wirtschaftspolitik fußt auf dem richtigen Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente, wie zum Beispiel Steuern, Zölle, Zinspolitik oder Wettbewerbspolitik, was wiederum einer klaren Zielsetzung bedarf. Dieser Beitrag erläutert, welche Ziele der Wirtschaftspolitik gesetzlich festgeschrieben sind und was diese Ziele sowie ihre Verfolgung im Einzelnen bedeuten.
Das Magische Viereck: Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld
Das Magische Viereck ist eine, in der deutschsprachigen Welt, populäre Darstellung der vier wichtigsten Ziele der Wirtschaftpolitik, auf deren Säule der Wohlstand der Volkswirtschaft ruht:
- Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum
- Preisniveaustabilität
- Hoher Beschäftigungsgrad
- Hoher Beschäftigungsgrad
Ein Einbruch einer dieser Stützen bringt Nachteile für Unternehmen und Konsumenten mit sich und gefährdet die wirtschaftliche Stabilität einer Volkswirtschaft. Im, vom Deutschen Bundestag 1967 verabschiedeten, Stabilitäts- und Wachstumsgesetzt sind diese Ziele verbindlich festgeschrieben, wodurch die Aufmerksamkeit wirtschaftspolitischer Institutionen, wie Staat, Notenbank oder Sozialpartner, auf deren Erreichung gelenkt wird. Die gleichzeitige Erreichung aller vier Ziele, und damit makroökonomischer Stabilität, grenzt aber, aufgrund bestehender Inkongruenzen (Unverträglichkeiten) zischen den Zielen, an Magie, womit sich die Bezeichnung Magisches Viereck erklären lässt.
Die vier Ziele im Detail
Die Auswahl dieser vier Ziele beruht einerseits auf objektiven historischen Notwendigkeiten, andererseits auf subjektiven Sichtweisen und Wertevorstellungen:
Steiges und angemessenes Wirtschaftswachstum
Gemessen an der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP), gilt Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für steigenden Lebensstandard. Während das BIP die gängigste Messgröße für die Wirtschaftsleistung eines Landes ist, misst das Pro-Kopf-BIP den durchschnittlichen Wohlstand der Einwohner. Das BIP ist definiert als Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die innerhalb eines Landes im Laufe eines Jahres als Endprodukt hergestellt werden. Vorleistungen, sprich Güter und Dienstleistungen, die im Produktionsprozess verbraucht oder umgewandelt werden, werden hiervon in Abzug gebracht.
Wirtschaftswachstum bedeutet somit, dass in einer Periode mehr hergestellt wird als in der vorangegangenen, was eine Erhöhung von Produktivität, Arbeitseinsatz oder Realkapital erfordert. Die Einflussmöglichkeiten der Regierung auf das Wirtschaftswachstum liegen somit beispielsweise in Ausbildung und Förderung von Forschung und Entwicklung, Arbeitszeitenregelungen oder Investitionsanreizen sowie der Tätigung öffentlicher Investitionen. Zu beachten ist, dass das BIP keinen ausreichender Indikator für Wohlstand oder gar Lebensqualität darstellt, da Faktoren wie Umweltverschmutzung, gerechte Einkommensverteilung oder Arbeitsbedingungen nicht erfasst werden.
Preisniveaustabilität
Preisstabilität ist gegeben, wenn die Preise der wichtigsten Güter im Durchschnitt konstant bleiben. Das Preisniveau wird dabei anhand verschiedener Preisindizes gemessen, die die durchschnittliche Veränderung der wichtigsten Preise innerhalb eines Zeitraumes angeben. Am bekanntesten ist hierbei der Lebenserhaltungsindex. Er misst die Preisveränderung des Warenkorbes, also jener Güter und Dienstleistungen, die von einem durchschnittlichen Bürger konsumiert werden. Steigendes Preisniveau wird als Inflation, sinkendes als Deflation bezeichnet.
Eine Inflationsrate, sprich, der Prozentsatz, mit dem das Preisniveau ansteigt bzw. das Geld an Kaufkraft verliert, von nicht mehr als zwei Prozent pro Jahr wird als Preisstabilität angesehen. In der Europäischen Union fungiert die Europäische Zentralbank (ECB) mit ihrer Zins- und Geldmengenpolitik als Wächterin der Preisstabilität und versucht, den negativen Folgen von Inflation vorzubeugen. Aber auch der Staat kann, beispielsweise durch Preisregelung, Einfluss nehmen.
Die Gefahren durch Inflation sind vielfältig und umfassen, unter anderem, sinkende Kaufkraft und Reallöhne, Werteverfall von Bankguthaben, Flucht in Sachwerte, Schwächung der Währung oder Kalte Progression (steuerliche Mehrbelastung, wenn Steuertarife nicht an die Preissteigerungsrate und Einkommensentwicklung angepasst werden). Aber auch Deflation, ein Rückgang des allgemeinen Preisniveaus, hat gravierende negative Konsequenzen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, weil Unternehmen bei sinkenden Preisen dem steigenden Kostendruck durch Mitarbeiterabbau begegnen.
Hoher Beschäftigungsgrad
Eine Arbeitslosenquote, gemessen am Verhältnis von registrierten Arbeitslosen zur Summe ziviler Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Arbeitslose), von bis zu drei Prozent gilt allgemein als Vollbeschäftigung, da diese aufgrund der permanenten Schaffung und Zerstörung von Jobs sowie saisonaler Nachfrage nach Arbeitnehmern nicht null sein kann. Zu beachten ist, dass bei dieser Messgröße Teilnehmer an arbeitspolitischen Maßnahmen, Arbeitslose in Weiterbildung oder nicht registrierte Arbeitslose nicht erhalten sind.
Hohe Arbeitslosigkeit hat zahlreiche negative Auswirkungen auf die Gesellschaft. Steigende Sozialkosten und Gefährdung des sozialen Friedens und der politischen Stabilität stehen dabei ganz oben. Betroffene leiden unter psychologischen und psychischen Folgen, wie zum Beispiel Selbstzweifel oder gesundheitlichen Problemen und vor allem bei Langzeitarbeitslosen verlieren erworbene Qualifikationen ihren Wert.
Mögliche Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind beispielsweise der Versuch einer Ankurbelung des Konsums, Förderungen für Unternehmen, Personengruppen anzustellen, die stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder der Versuch, ein Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt (strukturelle Arbeitslosigkeit) durch Weiterbildungsmaßnahmen auszugleichen.
![das magische viereck beispiel](https://www.intqua.de/wp-content/uploads/2019/06/47576998_s.jpg)
olegdudko/123RF.com
Außenwirtschaftliches Gleichgewicht
Von außenwirtschaftlichem Gleichgewicht spricht man, wenn der Wert der Exporte ungefähr dem der Importe entspricht. Von einem Leistungsbilanzdefizit spricht man, wenn die Importe die Exporte übersteigen. Dies bedingt die Notwendigkeit von Kapitalimporten, damit die ausländischen Güter bezahlt werden können. In weiterer Folge kommt es zu einem sinkenden Kurswert der eigenen Währung, Devisenknappheit und, im Extremfall, zu Zahlungsunfähigkeit, sprich Staatsbankrott. Kurzfristige Steuerungsinstrumente in diesem Bereich sind Wechselkurse, Zölle oder Handelsabkommen, langfristig geht es hier um die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen.
Spannungsfelder im Magischen Viereck
Während einige Ziele kompatibel sind, so fördert beispielsweise Wirtschaftswachstum den Beschäftigungsgrad, bringt die Verfolgung anderer ungünstige Trade-offs mit sich. Hier ein Überblick über die wichtigsten Unvereinbarkeiten:
Wirtschaftswachstum versus Preisstabilität
Befindet sich die Konjunktur im Aufschwung, sind Unternehmen geneigt, mehr zu investieren. Mit der Wirtschaft wächst die Produktion und folglich der Bedarf an Arbeitskräften. Die erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften bedingt höhere Löhne, die resultierende Einkommenssteigerung führt zu gesteigertem Konsum, der, gemeinsam mit der gesteigerten Nachfrage nach Investitionsgütern und Ressourcen, einen Anstieg des Preisniveaus zur Folge hat. Parallel dazu verbessert sich auch die Stimmung auf den Finanzmärkten, wodurch Aktienkurse steigen. Ein Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Preisstabilität lässt sich somit nicht vermeiden.
Preisstabilität versus hoher Beschäftigungsgrad
Die Phillips-Kurve (benannt nach dem englischen Ökonom Alban Phillips) beschreibt in grafischer Form den Zusammenhang zwischen Lohn- bzw. Preisniveauänderungen und Arbeitslosenquote in Großbritannien. Wenige Jahre später leiteten Samuelson und Solows daraus einen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit her. Trotz zahlreicher Kritik und Schwächen – in den siebziger Jahren hatten in Deutschland sowohl Inflation als auch Arbeitslosigkeit die Marke von fünf Prozent überschritten – bleibt die Grundannahme korrekt, dass das Inflationspotenzial einer Wirtschaft umso höher ist, je besser sie läuft und je stärker Vollbeschäftigung Lohnsteigerungen generiert.
In letzter Zeit wird diese Annahme in Frage gestellt, da sowohl die USA als auch Deutschland niedrige Arbeitslosenzahlen und solides Wirtschaftswachstum aufweisen. Diese Ablehnung der Phillips-Kurve ist allerdings verfrüht. Mächtige Kräfte halten die Inflation heute niedrig, der globale Wettbewerb mit Schwellenländern beschränkt Lohnerhöhungen als Inflationstreiber und gerade in Industrieländern tauschen gut ausgebildete Arbeitskräfte Lohnerhöhungen gegen flexiblere Arbeitsbedingungen. Aber der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation existiert nach wie vor, wie zunehmende Inflationserwartungen für die USA zeigen.
Vorhersehbare Zinserhöhungen als Maßnahme zur Preisniveaustabilisierung drosseln die Investitionstätigkeit, was sich wiederum negativ auf die Beschäftigung auswirkt. Zwar hinkt die Eurozone dieser Entwicklung hinterher, man soll sich aber nicht wundern, wenn auch hier in den kommenden Jahren die Inflation wieder zum Thema wird.
Außenwirtschaftliches Gleichgewicht versus Wirtschaftswachstum und Beschäftigung
Wird außenwirtschaftliches Gleichgewicht über Exportzölle oder Einfuhrbeschränkungen erreicht, wirkt sich dies negativ auf Beschäftigung und Wachstum aus. Herrscht beispielsweise eine hohe Nachfrage nach deutschen Produkten, steigt auch die Nachfrage nach Euros, wodurch sich der Preis der Währung erhöht. Eine Angleichung von Exporten und Importen kann das Wirtschaftswachstum bremsen und gerade in Deutschland, als Exportnation, würden Beschäftigung und Wirtschaftsleistung bei einer Verringerung der Exportquote stagnieren oder sinken.
Fazit
Das Magische Viereck bildet die Basis für die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Andere Ziele, die bei der Einführung noch weniger bedeutend waren, können hinzugefügt werden, typische Beispiele hierfür sind ökologische Nachhaltigkeit oder Verteilungsgerechtigkeit. Daraus ergeben sich weitere Zielkonflikte, wie beispielsweise zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz. Das Stabilitätsgesetz fordert eine Gegensteuerung gegen Ungleichgewichte und eine möglichst harmonische Zielverwirklichung. Die Aufgabe und Herausforderung für die Wirtschaftspolitik liegt darin, Zielkonflikte zu akzeptieren und sie auf Zeit zu lösen sowie, im Bedacht auf das Gemeinwohl, situativ angepasste Entscheidungen zwischen konkurrierenden Zielen zu treffen.